Wie kühlt man eine Großstadt?

Mannheim baut derzeit ein Netz aus Messstationen auf, das Daten rund ums Mikroklima sammelt. Das Ziel: Ein wirksames Konzept für mehr Grünflächen – und eine Stadt, die auch bei Hitze lebenswert bleibt.

Die Sonne knallt, der Asphalt scheint fast zu schmelzen, kein Lüftchen regt sich zwischen den hohen Gebäuden. Was gibt es an einem heißen Sommertag in der Stadt Besseres als ein kühles Plätzchen im Park, am Ufer eines Sees oder eines Flusses? Dass mehr Grün und entsiegelte Flächen helfen, Städte resilienter gegen den Klimawandel zu machen, ist längst bekannt. In naturnahen Landschaften empfinden nicht nur wir Menschen das Mikroklima – also die Bedingungen in bodennahen Luftschichten – als deutlich angenehmer. Pflanzen und Wasseroberflächen kühlen durch Verdunstung, Bäume und Sträucher spenden Schatten. Betonwüsten dagegen drohen an heißen Tagen zu gefährlichen Hitzeinseln zu werden. Also alles in den Innenstädten bepflanzen, was geht? Ganz so simpel ist es nicht …

Projekt Smart Roots

Die Smart City Mannheim GmbH, ein städtisches Gemeinschaftsunternehmen mit der MVV Energie AG, will in den kommenden Jahren beim Projekt Smart Roots in Kooperation mit den städtischen Fachbereichen Klimaschutz und Klimafolgenanpassung herausfinden, wie sich Großstädte besser gegen den Klimawandel wappnen können. Mannheim ist besonders von der fortschreitenden Erwärmung betroffen: Die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs liegt in der Oberrheinebene, einer Region mit besonders warmen Sommern und zählt zu den heißesten Städten Deutschlands. Zusammen mit der Schwesterstadt Ludwigshafen bildet Mannheim einen Ballungsraum mit Flächen, die zu gut zwei Dritteln versiegelt sind. Schon jetzt ist die Anzahl der jährlichen Hitzetage mit Temperaturen von mindestens 30 Grad seit 1991 um 81 Prozent auf 21 Tage angestiegen. 

Wie aber kühlt man eine Großstadt effektiv: mit Frischluftschneisen, mehr Bäumen in der Fußgängerzone, größeren Parks oder begrünten Dächern? „Wir wollen herausfinden, welche Maßnahme welche Wirkung hat“, sagt Sven Riffel, Smart City Manager bei Smart City Mannheim. Der Ingenieur ist kein Fan des Prinzips Gießkanne. Schließlich, gibt er zu bedenken, gehe es in einer Kommune auch um den verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern und darum, Interessen miteinander zu vereinbaren. Eine Stadt braucht eben nicht nur Bäume, sondern auch Wohnungen, Industrie- und Gewerbeflächen, Parkplätze und vieles mehr…

Entsiegelung und Bepflanzung

Belastbare Daten sollen künftig der Stadtverwaltung bei der Entscheidung helfen, wie, wo und in welchem Umfang die Stadt entsiegelt und bepflanzt werden muss, damit die Lebensqualität in Hitzeperioden erhöht wird. „Eine Frage ist zum Beispiel: Helfen auch viele kleine Grünflächen in der Vernetzung?“ sagt der Klimatologe Dr. Wolfgang Lähne, der das Projekt Smart Roots begleitet. Um Antworten zu liefern, baut Smart City Mannheim seit 2022 ein engmaschiges Klima- und Umweltmessnetz auf. Im Stadtteil Neckarstadt wurden bereits die ersten Sensoren in drei bis vier Metern Höhe an Straßenbeleuchtungsmasten installiert, die Daten rund um Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur sowie Windgeschwindigkeit und Windrichtung sammeln. „Wir schaffen eine Datenbasis, nicht nur für Mannheim, sondern auch für Dritte“, sagt Sven Riff el.

Besonders wichtig: Die stromnetzunabhängigen Sensoren sollen in Echtzeit die tatsächliche Lufttemperatur erheben – unabhängig davon, ob die Geräte unter einem Baum, im Schatten eines Gebäudes oder in der prallen Sonne angebracht sind. „Nur mit einer hohen Qualität der Daten können wir Antworten auf unsere Fragen finden“, sagt Wolfgang Lähne.

Bis Ende des Jahres werde Smart City Mannheim Messstationen an 350 bis 400 Standorten installieren – etwa drei pro Quadratkilometer Stadtfläche. Jeder einzelne Standort wird dabei von dem Klimatologen Wolfgang Lähne geprüft und ausgewählt. Ein Kooperationspartner von Smart City Mannheim ist die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH. Seit dem Frühjahr ist auf den Linien 1 und 3 im Rahmen eines Pilotprojekts eine Straßenbahn als rollende Messstation in der Großstadt unterwegs. Der Vorteil: Das öffentliche Verkehrsmittel befährt in regelmäßigen Abständen die gleiche Strecke – und trägt so zu einem detaillierten Klimaprofi l Mannheims bei. Die Technik erfasst Daten zu Wind und Niederschlag sowie zu der Temperatur am Boden. Ein Teil der Straßenbahngleise wurde bereits begrünt, die fahrende Messstation soll auch zeigen, wie groß der positive Effekt dieser Maßnahme ist.

Viel hilft viel?

Das trifft auf Begrünungen gerade dann nicht mehr zu, wenn die Pflanzen, die eigentlich die Stadt kühlen sollen, selbst in Hitzestress geraten und eingehen. Neben den Daten zu Klima und Luftqualität sammelt das Projektteam von Smart City Mannheim daher auch Daten über die Bodenfeuchte und Bodentemperatur städtischer Grünflächen. „Da arbeiten wir eng mit den Kollegen des Stadtraumservices Mannheim zusammen“, sagt Sven Riff el. Im Rahmen eines Pilotprojekts sind zehn Bäume unterschiedlicher Arten im ganzen Stadtgebiet mit Sensoren bestückt, um daraus für vergleichbare Standorte Erkenntnisse abzuleiten. „Wir wollen wissen, welcher Baum wann Wasser braucht“, sagt der Smart City Manager. Die dabei gesammelten Daten sollen künftig den Mitarbeitern des Stadtraumservices helfen, die Grünflächen in Mannheim ressourcenschonender zu bewässern.

Durch den Klimawandel häufen sich die Extreme. Nicht nur lange Dürren sind ein Problem, sondern auch wenn zu viel Niederschlag in kurzer Zeit auf versiegelte Flächen trifft. „Unsere Stadtentwässerung ist ebenso an den Daten interessiert“, sagt Sven Riff el. Das Klimamessnetz soll zeigen, in welchen Stadtvierteln wie viel Regen fällt. „Es kam früher schon vor, dass in einem Stadtteil geradezu die Welt unterging – und der Rest von Mannheim hat es gar nicht mitbekommen“, sagt der Smart City Manager. Solche auf einen sehr kleinen Raum begrenzten Wetterphänomene könnten sich durch den Klimawandel häufen, sagt der Klimatologe Wolfgang Lähne. Ein Argument mehr, engmaschiger als in der Vergangenheit im Stadtgebiet Daten zu erheben. Die Messtationen könnten bei starkem Niederschlag zum Beispiel die Feuerwehr bei der Einsatzplanung unterstützen, die dann frühzeitig weiß, wo in Mannheim Überschwemmungen drohen. Zudem kann die Bevölkerung über Apps gewarnt werden.

Sven Riff el ist überzeugt, dass es Sinn macht, genau hinzuschauen, welche Maßnahmen im Angesicht des Klimawandels wirklich helfen. „Wir wollen die Stadt für die Zukunft resilient machen, sie an die Klimafolgen anpassen.“ Deswegen brennen er und seine Mitstreiter für das Projekt Smart Roots und den Aufbau des Klimamessnetzes. „Ich glaube, davon können viele andere Städte profitieren.“